Wirklichkeit

….und wie wahr ist diese Wirklichkeit?

Nach Immanuel Kant (1724–1804) ist das von ihm so genannte Ding an sich unerkennbar: Wann immer wir etwas ansehen (= wahrnehmen), spielt schon unsere Erfahrung mit – und die ist sowohl Folge unserer Art des Denkens als auch der Weise, wie unsere Sinne das Wahrgenommene rezipieren. Etwas, das wir nicht schon kennen, erkennen wir gar nicht. Wir nehmen es zwar sinnlich wahr, wissen aber nicht (sofort), was es ist, egal welchen Sinnesreiz wir empfinden: einen uns unbekannten Ton oder ein uns nicht einordenbares Geräusch, eine überraschende Tastempfindung, die wir nicht einordnen können, ein uns unbekanntes Objekt, von dem wir nicht wissen, was es ist oder das uns – aufgrund seiner Ähnlichkeit mit etwas Bekanntem – täuscht.

Was uns prägt

Geprägt von unseren Wahrnehmungen und Erfahrungen entsteht in uns ein Bild einer Wirklichkeit, die eine für uns eigene subjektive Wahrheit bildet. Wir kennen das was wir gelernt und erfahren haben. Was wir mit unseren Sinnen erlebt haben und mit unserem Bewusstsein erfasst haben halten wir für wahr. Wir sehen das, was wir bereits kennen. Somit ist für jedes Individuum seine Wirklichkeit wahr. Das ist unser Erfahrungsschatz und damit gehen wir durch die Welt. Sie wirkt in unserem Alltag, ob uns das bewusst ist oder nicht. Der Glaube, dass es nur eine Wirklichkeit gibt ist eine Täuschung. Es gibt vielmehr zahllose Wirklichkeitsauffassungen, die sehr widersprüchlich sein können.

Was Spuren hinterlassen kann

  • Wie sieht die Wirklichkeit für einen Menschen aus, der mit Gewalt erzogen wurde.
  • Wie formte sich die Wirklichkeit für jemanden, der oft getadelt wurde?
  • Welche Wirklichkeit hat ein Mensch der wenig Zustimmung erhielt?
  • Wie sieht die Welt aus für jemanden der öfters abgelehnt wurde?
  • Was passiert mit einem Kind, dass überbehütet aufwuchs?
  • Welche Wirklichkeit hat eine Person, die früh einen Verlust verkraften musste?

Ich treffe in meiner Arbeit viele Wirklichkeiten an und jede einzelne stimmt für diesen Menschen. Wieviel das mit der Wahrheit zu tun hat, spielt in der Traumatherapie keine Rolle. Sein Weltbild ist so und somit wahr. Mir öffnet es Einblicke in die Sichtweisen und Erfahrungswelten der betreffenden Person. Fühlt sie sich zugehörig, unsicher, ängstlich, hilfsbereit, verbunden, alleine, einsam? Ich erfahre etwas über die Biographie, Lebenserfahrung, Normen, Werte, Bedürfnisse, Wünsche, Erwartungen, Phantasien, Prägungen, Befürchtungen und Ängste aber auch was ihn erfreut, genährt und was geholfen hat zu überleben. So bekomme ich ein gewisses Bild wie er den Weg bis heute geschafft hat.

  • Was hat geholfen?
  • Was war schwierig?
  • Was war anspruchsvoll?

Ich erhalte Einblick in seine Wirklichkeit. Es ist eine mir neue Welt, die genauso wahr ist wie meine.

Neue Perspektiven einnehmen

Eine andere Sicht der Wirklichkeit anzunehmen oder Teile davon ist möglich. Wir können uns dafür öffnen, auch wenn das Neue grundsätzlich Angst macht und verunsichert. Wir können neue Aspekte prüfen und annehmen oder verwerfen. Vielleicht öffnet der Blick auf eine andere Wirklichkeit neue Perspektiven und Sichtweisen. Einige Anteile finden möglicherweise Zustimmung und einen Platz in deinen Wahrheiten und Wirklichkeitswelten.