Das anerkannte «Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung» haben der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Erik H. Erikson und seine Ehefrau Joan in den 1950er-Jahren erarbeitet. In diesem entwicklungspsychologischen Modell beschreiben die Forscher die menschliche Ich-Entwicklung in acht Phasen. Dabei geht es um die Spannungen zwischen den Bedürfnissen und Wünschen des Individuums und den sich laufend verändernden Anforderungen der sozialen Umwelt. Gemäss Eriksons Studien können sich nicht erfolgreich abgeschlossene Entwicklungsstufen zu einem späteren Zeitpunkt zum Problem entwickeln.
Den Stadien 1 bis 4 wird die Sozialisierung von Kindern zugeteilt, in die Phasen 5 bis 8 fallen Jugendliche und Erwachsene. Ich gehe in diesem Artikel auf die ersten vier Stadien ein, da diese die für uns Menschen wichtigen ersten zwei Lebensjahre beinhalten. Während dieser entscheidenden Phase entstehen Muster, die uns bis ins hohe Alter prägen können.
Stadium 1 | 1. Lebensjahr | Ur-Vertrauen vs. Ur-Misstrauen
In den ersten zwölf Monaten eines Menschenlebens entstehen die psychosozialen Funktionsweisen des Gebens, Nehmens und Empfangens. Das Baby ist komplett abhängig von seinem Umfeld, von den Bezugspersonen, die es ernähren und umsorgen. Entscheidend für eine erfolgreiche Bewältigung dieser Entwicklungsstufe ist die Bindungsqualität, die dem Menschlein zur Verfügung gestellt wird. Bekommt es ausreichend Fürsorge, Nähe, Geborgenheit, Anwesenheit, Streicheleinheiten und Aufmerksamkeit? Wenn seine Bedürfnisse nach Schutz und Sicherheit erfüllt sind, entwickelt sich seine Psyche gesund. Bei Brüchen in der Beziehung mit den Bezugspersonen, aus welchen Gründen auch immer, entsteht das Gefühl von ohnmächtiger Hilflosigkeit. Wenn dieser Zustand eintritt, sprechen wir von einem Bindungstrauma.
Stadium 2 | 2. und 3. Lebensjahr | Autonomie vs. Scham und Zweifel
Behalten und Hergeben sind in diesem Lebensabschnitt die relevanten psychosozialen Funktionsweisen: die Autonomie des Kleinkindes entwickelt sich. Darf das Kind seiner kindlichen Neugier und seinem Entdeckergeist folgen und die Welt erforschen? In der als «Täubeliphase» bekannten Zeitspanne möchte der Nachwuchs seinen Willen durchsetzen und Grenzen ausloten. Darf sich der Wildfang ausprobieren, ohne dass das Gefühl von Vertrauen und Geborgenheit verloren geht? Ist es dem Kind erlaubt, seine Grenzen auszuloten? Kann ein sicheres Bindungsgefühl entstehen, auch wenn eine Handlung gerügt wird? Ja, denn die Liebe zur Bezugsperson bleibt bestehen. Anders liegt der Fall, wenn nicht das «Fehlverhalten», sondern das Kind als Individuum verurteilt wird. Dann manifestieren sich Scham, Zweifel und Selbstzweifel.
Stadium 3 | 4. bis 6. Lebensjahr | Initiative vs. Schuldgefühl
Im Vorschulalter entwickelt sich die kindliche Moral. Sie ist die Grundlage der Gewissensentwicklung. Die Kleinen probieren sich aus, im Spiel, und sie tun «als ob». Parallel findet die Loslösung zwischen Mutter und Kind statt. Die Bewältigung des Ödipuskomplexes ist eine wichtige Aufgabe in dieser Lebensphase. Die symbiotische Beziehung zwischen Kund und Mutter öffnet sich, aussenstehende Menschen bekommen eine Bedeutung. Wenn diese Konfliktphase unzureichend gelöst wird, können Ängste und Schuldgefühle entstehen, die zu Selbsteinschränkung führen. Möglicherweise ist der Betroffene Jahre später unfähig, nach seinen Fähigkeiten und Wünschen zu leben.
Stadium 4 | 6. bis 13. Lebensjahr | Werksinn vs. Minderwertigkeitsgefühl
Kinder in diesem Lebensabschnitt möchten zuschauen, mitmachen, beobachten, teilnehmen und konstruieren. Ausprobieren, auch sich selbst. Für ihre Aktionen möchten sie Anerkennung erhalten. Neben dem Drang zum Spielen entwickelt sich im Primarschulalter der Werksinn. Das Kind möchte in der Welt und an der Welt der Erwachsenen teilnehmen. Dabei entwickelt es Vertrauen in seine Fähigkeiten. Wenn dieser Werksinn nicht angemessen ausgelebt werden kann, entwickelt sich das Gefühl des Scheiterns und der Minderwertigkeit. Daraus entstehen Versagensängste, Furcht vor bestimmten Aufgaben. Dem Kind fehlen Bewältigungsstrategien im Umgang mit Misserfolgen. Dieses Scheitern kann zu einem mangelnden Selbstwertgefühl führen.
Verhaltensmuster bei Bindungstraumata
Die Bewältigung der vier oben genannten Entwicklungsstufen ist ausschlaggebend für das weitere Leben. Wenn wir in der Kindheit in den schwierigen Situationen jeweils eine Notlösung gefunden haben, nehmen wir diese mit ins Erwachsenenleben. Letztendlich ist diese «Notfallbewältigung» jedoch die Ursache für erhebliches Leid. Tiefer, ständiger diffuser Schmerz in der Kindheit zeigt seine Auswirklungen im Hier und Jetzt – obwohl sein Ursprung in der Vergangenheit liegt.
Ein einmaliges Nervenverlieren der Bezugsperson kann ein Kind in der Regel verarbeiten. Dauerhafte und wiederholte destruktive Beziehungsmuster wie Ablehnung, Verurteilung, Druck, Drohung, Bestrafung, Wegsperren usw. sowie physische Gewalt erzeugen jedoch tiefgreifende Spuren. Schwierig wird es besonders dann, wenn Bezugspersonen aufgrund eigener Traumatisierung destruktiv auf das Kind einwirken. Überforderung und die eigene Aktivierung machen es solchen Erwachsenen fast unmöglich, einem Kind die notwendige zuverlässige Bindungsqualität zur Verfügung zu stellen.
«Ich bin falsch.»
Wenn Eltern oder Bezugspersonen mit dem kindlichen Temperament überfordert sind, kann eine Abwehrhaltung entstehen. Diese zeigt sich, indem das Kind ignoriert bestraft, manipuliert oder lächerlich gemacht wird. In dieser Situation muss das Kind die Form seines Selbstausdrucks unterdrücken und sich anpassen, um die Zugehörigkeit und die Bindung nicht zu verlieren. Kleine Kinder sind abwertendem Verhalten schutzlos ausgeliefert. Es ist ihnen nicht möglich, eine andere Bezugsperson zu suchen. Mit der Zeit fängt das Kind an, sich selbst in Frage zu stellen, sich zu beschuldigen und abzuwerten: «Mit mir stimmt etwas nicht.» «Ich bin falsch.» Es unterdrückt seine Wut und richtet die Aggression geben sich selbst.
Wenn es uns in der Kindheit gelungen ist, unsere bedürftigen Tendenzen mehr oder weniger erfolgreich zu unterdrücken, kommen wir als Erwachsene eine Weile klar damit. Meistens holen uns unsere Vermeidungsmuster jedoch eines Tages ein. Wir werden immer wieder verlassen, weil unsere Beziehungen nicht tragfähig sind. Wir werden betrogen, vom Partner abgewertet, im Job entlassen oder leiden unter Geldmangel. Irgendwann versinken wir in der Hoffnungslosigkeit und werden krank. Resignation macht sich breit.
Bist du in dieser Spirale gefangen? Gerne lade ich dich ein, eine neue Beziehungserfahrung zu machen. Eine tiefe Bindung ist möglich, und sie wird Stabilität in dein Leben bringen. Nimm Kontakt zu mir auf.