Nervensystem

Wenn es um Entladung geht

Bei Babys und Kleinkindern ist ein Mechanismus angelegt, wo sie sogenannten Stress im Nervensystem natürlicherweise und spontan entladen, indem sie losheulen. Tränen sind da, um auf einen Missstand aufmerksam zu machen und je nach Alter, die einzige Möglichkeit die sie haben. Die Fürsorge und Anteilnahme der Betreuungspersonen, meist der Eltern helfen bei der Regulation im Nervensystem mit, indem sie die Kleinen in die Arme nehmen und mit tröstenden Worten beruhigen. Der soziale Kontakt und die körperliche Nähe sind somit entscheidend, damit sich Babys regulieren können. 

Durch äussere Einflüsse, wie Verurteilung, Bestrafung oder Bedrohung beginnen sie Schritt um Schritt diesen Reflex zu unterdrücken und zu kontrollieren. Sie fügen sich dem, was ist.
Hinzu kommt die Erziehung, wo bestimmte Anforderungen und Erwartungen an die Kinder gestellt werden und schon bald wissen sie intuitiv, wie sie zu funktionieren haben und passen sich an. Das hat allerdings wenig damit zu tun, das Leben zu gestalten. 

Wenn überfordernde Ereignisse Stress verursachen und dieser im Nervensystem und im Körper, also der Zellebene verankert ist, zeigt sich das später im Alltag in Verhaltensmustern, Krankheitssymptomen und erneutem Stress. Etwas, was damals nicht integriert werden konnte, führt im Körper ein Eigenleben und zeigt sich immer wieder in Unmut, Verurteilung, Stress und Wutausbrüchen. Ebenfalls zeigt es sich durch Kontrolle, um niemals das Gesicht zu verlieren und den Schein aufrechterhalten zu können.

Heute weiss man, dass es beim Baby und Kleinkind für die Regulation im Nervensystem einen anderen Körper braucht. Damit sie sich beruhigen können, sind sie also auf äussere Fürsorge angewiesen, um nach überwältigenden Erfahrungen wieder ins Lot kommen.
Das ist nicht immer möglich. Somit bleiben Spuren im Zellgedächtnis zurück und diese können sich in vielen Symptomen und Krankheitsbildern zeigen. 

Folgendes muss zur Verfügung gestellt werden, damit eine Entladung im Nervensystem im Nachhinein gelingen kann.

  • sicherer und geschützter Ort, wo die grosse Verletzlichkeit sein darf
  • Unterstützung in Form eines zweiten Körper
  • Würdigung des Schweren
  • Empathie und Anteilnahme, indem uns jemand seine emotionale Kapazität zur Verfügung stellt
  • Teilhabe am Prozess
  • wahrnehmen, spüren und zulassen (auch dann, wenn es unangenehm ist) 

Was ist ein sicherer und geschützter Raum? 

Um sich für den Prozess öffnen zu können, muss ich einen zwischenmenschlichen Raum antreffen, wo die Verletzlichkeit sein darf. Dieser Raum muss urteilsfrei, unvoreingenommen, wohlwollend und zugewandt sein. 

Der zweite Körper für die Koregulation

In der Traumatherapie geht es um Regulation und Koregulation. Was damals im Ereignis überfordernd war, steckt im Nervensystem und im Körper fest und wirkt immer noch. Damit die Blockaden aufgelöst werden können, müssen sie im Nachhinein reguliert werden. Dafür braucht es einen zweiten Körper. Manchmal ist eine Berührung hilfreich.

Würdigung

Die Würdigung ist eine Anerkennung des Schweren. Indem das beinahe nicht Benennbare benannt wird, darf es sein. Für einen kurzen Moment steht es im Mittelpunkt des Prozesses und die Erleichterung darüber ist sicht- und spürbar. Etwas im Innern kann endlich zur Ruhe kommen und entspannen.

Empathie und Anteilnahme

Wenn uns jemand seine emotionale Kapazität zur Verfügung stellt, kann der Körper etwas, was Dort und Damals nicht möglich war, im Hier und Jetzt leisten. Das heisst, wenn ich ein Gegenüber habe, dass mitfühlt, präsent ist, sich berühren lässt, ein offenes Herz hat und das was ist zulässt, kann ein Entladungsprozess stattfinden und etwas «Altes» in Ordnung kommen. Dafür braucht es keine Worte. Es geht vielmehr um fühlen, spüren, empfinden und zulassen. Der stille Raum ist dafür hilfreich.

Teilhabe

Sie beinhaltet eine Sensitivität der Wahrnehmung, die durch Sprache schwer zu beschreiben ist, weil die Teilhabe als gefühlt wahrgenommen wird. Man spricht auch von der Transzendenz, was eine immaterielle Qualität hat. Die Orientierung richtet sich auf den inneren Zustand des Körpers und begleitet so den Prozess der Transformation und somit des Loslassen.

Wahrnehmen, spüren, zulassen 

Diesen Teil des Prozesses erlebe ich in der Praxis immer wieder als Herausforderung, da der Verstand mächtig ist und alles verstehen möchte. Gespräche sind ohne Zweifel wichtig, um Verhaltensweisen verstehen und einordnen zu können. Veränderung geschieht dadurch allerdings wenig. Es geht um spüren, um wahrnehmen und um das damals Überfordernde zuzulassen, damit es im Hier und Jetzt verändert werden kann.
Spüren bedeutet, die Aufmerksamkeit nach innen zu richten, zu fühlen und absichtslos zu beobachten was gerade geschieht. Mit den innewohnenden Selbstheilungskräften findet der Körper somit einen Weg, wie er diese emotional aufgeladene Ladung, die im Innern gefangen und blockiert ist, entladen kann. Etwas kommt wieder ins fliessen. Manchmal fliessen dazu Tränen und eine unterdrückte Wut oder Angst findet Ausdruck.

Was sich zeigt ist Erleichterung, Entspannung und Wohlgefühl. Eine alte Last konnte endlich losgelassen werden und Ruhe kehrt ein.